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Der Herr über die Turngeräte

  • 21. März 2021

Vor zwei Jahrzehnten hat Emanuel Senn als Kunstturner selbst noch an internationalen Grossanlässen geturnt. Heute sorgt der 38-jährige Oberbaselbieter als OK-Mitglied an den Europameisterschaften in Basel dafür, dass Oliver Hegi und Co. perfekte Wettkampf-Bedingungen vorfinden werden.

Emanuel, vor 21 Jahren hast du als Junior selbst an einer Kunstturn-EM teilgenommen. Welche Erinnerungen hast du noch an diese EM in Bremen?
Emanuel Senn: Spontan kommt mir jener Augenblick in den Sinn, als ich mich beim Sprung angemeldet habe. Als sich zum ersten Mal die Tafel mit meinem Namen gedreht hat, wurde mir klar: Jetzt gilt es ernst! Neben den tollen gemeinsamen Momenten mit dem Team war dies einer meiner prägendsten Erlebnisse als aktiver Kunstturner.

Aus dem Kunstturner wurde der Organisator: Was bedeutet es für dich, die Kunstturn-EM vor der eigenen Haustüre mitgestalten zu dürfen?
Einerseits ist es immer wieder mein Anspruch für das Kunstturnen in unserer Region etwas zu ermöglichen. Dass ich diesen Anlass vor der eigenen Haustüre mitgestalten darf, freut mich deshalb sehr. Andererseits ist es mein Anspruch, jene Momente mitgestalten zu können, welche die Athleten als Erinnerungen und Motivation für ihre weitere Karriere aus Basel mitnehmen – ähnlich wie vor rund 20 Jahren bei mir.

Du bist an der EM Herr über die Turngeräte. Wie schwierig ist es, bei all den benötigten Geräten den Überblick zu behalten?
Nach all den Stunden, in denen ich mich in das Thema eingearbeitet habe, ist die Herausforderung nicht mehr allzu gross. Zu Beginn dachte ich, mit zwei Geräte-Sätzen, einem im ‹Field of play› und einem in der Trainingshalle, wäre es getan. Ich musste aber schon bald feststellen, dem ist nicht so und dass einiges mehr an Material auf uns zu kommt (lacht). All das benötigte Material ist eine grosse logistische Herausforderung. Nicht nur die Menge, sondern auch die Kostenfrage ist ein wichtiges Thema. Hier konnten wir glücklicherweise einen Miet-Kauf-Vertrag mit dem Ausrüster abschliessen. Für mich ist dieser Aspekt sehr wichtig. Vom Gerätekauf durch Weiterverwendung sollen nach der EM auch andere Leistungszentren von diesem Anlass profitieren können.

Wo gilt in der Organisation dein Hauptaugenmerk?
Eine der grossen Herausforderungen ist zurzeit, dass ich mich nicht nur auf meinen Bereich fokussieren kann, obwohl ich das gerne würde. Wegen Corona müssen wir im OK aber alle etwas umfangreicher denken, da sich die Situation praktisch täglich wieder ändert. Dies hat wiederum auch Auswirkungen auf meinen Bereich. An einem Grossanlass ist alles bis ins letzte Detail durchgetaktet – nicht nur der Wettkampf, sondern auch im Trainingsbereich. Die grosse Aufgabe ist es, überall die Übersicht überall behalten zu können.

Inwiefern profitierst du bei deiner Arbeit von deinem Wissen als ehemaliger Kunstturner?
Davon profitiere ich enorm viel. Gerade was den Wettkampf-Bereich betrifft, ist es wichtig, wenn du aus eigener Erfahrung, in meinem Fall als ehemaliger Athlet, aber auch als Sportphysiotherapeut, weisst, wie die Infrastruktur an Grossanlässen wie an Welt- oder Europameisterschaften aussehen sollte.

Wie unterscheidet sich die Wettkampforganisation zwischen einem internationalen Grossanlass wie einer EM und jenen Kunstturn-Wettkämpfe, welche wir auf nationaler Ebene kennen?
Was die Anzahl an Athletinnen und Athleten betrifft, ist es eigentlich ähnlich, wie wir es von nationalen Wettkämpfen kennen. Die Teilnahmezahl ist einigermassen überschaubar. Es sind die Anforderungen, sei es von den Turnenden, dem Fernsehen, der Technik und so weiter, die den Unterschied ausmachen. An einem internationalen Grossanlass versuchst du die Sportart maximal ins Rampenlicht zu führen. Dementsprechend sind die Anforderungen an die Präsentation enorm gross. Ausserdem ist die Logistik viel anspruchsvoller. Allein schon deshalb, weil die Athleten während einer ganzen Woche vor Ort sind und es hierfür einiges zu organisieren gibt. Es sind Detailarbeiten, die den grossen Unterschied zwischen einem nationalen und internationalen Kunstturn-Wettkampf ausmachen.

Internationale Kunstturn-Wettkämpfe haben sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einer Show entwickelt. Auch die EM in Basel verspricht ein Spektakel zu werden. Wie nimmst du als ehemaliger Kunstturner diese Weiterentwicklung war?
Es ist eine Entwicklung feststellbar, welche die Sportart verändert. Die verantwortlichen Gremien müssen sich überlegen, in welche Richtung es in Zukunft mit dem Kunstturnen gehen soll. Wie sich die Sportart verkaufen muss, damit sie weiterhin interessant bleibt. Eine Frage, die sich stellt, ist, ob die Wettkämpfe für die Zuschauer zu lange dauern? Hierfür ist es meiner Meinung nach wichtig, dass das Kunstturnen den Show-Charakter erhält. So etwas hilft unserer Sportart, attraktiv zu bleiben.

Athleten und ihre Darbietungen werden heutzutage viel mehr inszeniert als noch vor einigen Jahren. Wie wichtig ist diese Inszenierung für das Kunstturnen als Ganzes, beziehungsweise für den Athleten selbst?
Auch hier liegt eine Veränderung vor. Schon nur wie sich der Athlet präsentiert. Natürlich haben wir uns zu meiner Zeit über eine gelungene Übung gefreut. In die Kamera jubeln wäre früher von einigen Nationen nie denkbar gewesen. Gerade solche Emotionen zeigen, dass die Athleten durch die Inszenierung an den Wettkämpfen noch zusätzlich angespornt werden und so von ihrer Leistung noch mehr abrufen können. Ich sehe diese Entwicklung deshalb als sehr positiv.

Wie haben sich die Ansprüche an die Infrastruktur und Geräte im Vergleich zu deiner Aktivzeit geändert?
Nicht allzu sehr. Die Europameisterschaften in Basel werden einen der ersten Anlässe sein, bei denen in der Aufwärm- und Trainingshalle mehr Geräte zur Verfügung stehen werden. In der Vergangenheit gab es oftmals am Pauschenpferd oder am Barren ein Gehetze, weil hier die Athleten fürs Einstellen der Geräte mehr Zeit benötigen. Mit der doppelten Anzahl dieser Geräte möchten wir hier etwas Entspannung und vor allem mehr Zeit für die Athleten ermöglichen. Auch wenn beispielsweise der Boden heute mehr federt als früher, ist die Benützung der Geräte im Vergleich zu meiner Aktivzeit unverändert geblieben.

An der EM in Basel werden Geräte von der Firma Spieth im Einsatz sein. Welche Rolle spielt die Marken-Wahl für einen Athleten beim Wettkampf?
Eine sehr grosse Rolle. Als Athlet hast du das Gespür für die verschiedenen Geräte. Je nach Marke fühlen sich diese anders an. So achten die Athleten, dass sie in ihren Trainingszentren jene Marken zum Trainieren haben, welche dann an einem Grossanlass auch zum Einsatz kommen werden. So etwas ist sehr entscheidend, schliesslich gibt es unter den Athleten auch Präferenzen, welche Marke sie bevorzugen. Ein Barren ist also nicht einfach ein Barren.

Du bist unter anderem im Leistungszentrum NKL auch als Leiter Leistungssport tätig. Inwiefern kann ein regionales Zentrum wie das NKL von der Strahlkraft einer Heim-EM profitieren?
Es ist Ziel der Europameisterschaften, dass sie nachhaltige Wirkung haben. So versuchen wir mit verschiedenen Projekten, sofern sich in der derzeitigen Corona-Situation umsetzbar sind, auch die Kleinsten für die Kunstturn-EM zu sensibilisieren. Die Kinder sollen sehen, was Kunstturnen ist. Auch für unsere Athleten ist es sehr interessant, dank der EM zu sehen, wohin ihr eigener Weg einmal führen könnte. Eine solche Möglichkeit haben wir in der Regel in unserer Region eher selten. Die EM hautnah erleben zu können, ist für unseren Kunstturn-Nachwuchs einzigartig.

Stichwort Nachhaltigkeit. An der EM in Bern bestand nach dem Anlass die Schwierigkeit, dass für die gekauften Geräte eine Weiterverwendung gefunden wurde. Man spricht von mehreren tausend Franken, die ein solcher Geräte-Park kostet. Was passiert mit den EM-Geräten nach dem Wettkampf?
Es ist einer von vielen Punkten, von denen wir dank dem guten Austausch vom Berner OK profitieren konnten. Sie haben uns von Beginn an auf die Geräte-Anschaffung sensibilisiert. So haben wir bei den Verhandlungen mit dem Geräte-Hersteller unser Augenmerk daraufgelegt, dass wir für die Weiterverwendung Abnehmer finden. Unsere Vorstellung ist es, dass wir am Sonntagabend zum Abschluss der EM wissen, welche Geräte zurück an die Firma gehen und wo die restlichen Geräte eine Weiterverwendung finden werden. Insgesamt werden in Basel fünf Geräte-Sätze im Einsatz stehen. Unser Vorteil ist es, dass wir nicht alle Geräte kaufen mussten, sondern gewisse mieten konnten.

Welche Erwartungen hast du persönlich an die Kunstturn-EM in Basel?
Ich persönlich hoffe, dass wir für alle Athleten einen Moment ermöglichen können, der ihnen in positiver Erinnerung bleiben wird. Aus organisatorischer Sicht hoffe ich, dass der Anlass reibungslos über die Bühne gehen wird. Die Ansprüche ändern sich wegen Corona ständig. Diesen Umständen müssen und wollen wir gerecht werden, egal in welcher Form die Kunstturn-EM letztlich stattfinden kann.

Zur Person
Emanuel Senn (38) war einst Mitglied im Juniorenkader des Kunstturnens, sowie im Sichtungsnationalkader. Heute ist der Liestaler als Sportphysiotherapeut tätig und begleitet in dieser Funktion auch das Nationalkader Trampolin des STV an internationalen Grossanlässen. Daneben ist das Passivmitglied des TV Ziefen auch als Sportlicher Leiter im Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrum (NKL) in Liestal tätig. Im OK der Kunstturn-EM Basel ist Senn für den Bereich Wettkampf und Infrastruktur verantwortlich.

Text, Foto und Video: Thomas Ditzler

Diesen Beitrag findet ihr auch im GYMlive 1/2021 (erscheint am 10. März 2021).

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