«Das Resultat jahrelanger Aufbauarbeit»

  • 24. Mai 2021

  • Jörg Greb

  • athletix.ch / STV-Archiv

Swiss Athletics feiert in diesem Jahr sein 50-Jahr-Jubiläum. Geschäftsführer Peter Bohnenblust blickt zurück wie nach vorn. Er beurteilt den Einfluss der aktuellen Pandemie auf die Leichtathletik und kommt zu überraschenden Schlüssen.

Zur Person

Peter Bohnenblust

Peter Bohnenblust (59) ist seit 2015 Geschäftsführer von Swiss Athletics. Zur Leichtathletik hat der Berner einen engen Bezug. Von 1979 bis 1986 gehörte er dem Schweizer Nationalkader im Zehnkampf an (Bestmarke: 7170 Punkte). Nach der Karriere engagierte er sich bei seinem Stammverein TV Länggasse Bern, von 1988 bis 1996 als Leichtathletik-Präsident. Von 1988 bis 1998 amtete er auch als OK-Präsident des Internationalen Stabhochsprung-Meeting auf dem Bärenplatz in Bern.

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Die Nachwuchsprojekte erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit.
Peter Bohnenblust

Peter Bohnenblust, die Schweizer Leichtathletinnen und Leichtathleten sorgten in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen. Was hat das bei dir ausgelöst?

Peter Bohnenblust: Die Hallen-Europameisterschafften in Torun waren eine Riesenfreude. Eine Generation junger Athletinnen und Athleten feierte Erfolge. Und die beiden Goldmedaillengewinnerinnen Ajla Del Ponte und Angelica Moser stehen für wegweisende Wege. Ajla gab vom Tessin aus in der schwierigen letzten Saison Vollgas und hat jetzt wiederum abgeliefert auf Niveau europäischer Spitze. Angelica hat den Kampf mit sich und schwierigen Jahren gewonnen (Anm. d. Red.: Essstörungen). Ihre einzigartige Serie als Goldmedaillengewinnerin an den internationalen Grossanlässen beim Nachwuchs hat sie nun eindrücklich bei der Elite fortzusetzen begonnen.

Wir stehen vor einem Olympia-Sommer. Was dürfen wir nach diesem Winter erwarten?

Eine schwierige Frage. Die Ausgangslage ist vielversprechend. Wir sind breit aufgestellt. Zahlreiche Athletinnen und Athleten haben gezeigt, dass sie über ein hohes Niveau verfügen. Bei Olympia heisst das, dass Halbfinalplätze realistisch scheinen. Und, in diesem Winter haben wir lange nicht alle aus unserem Team gesehen, die auf Olympia-Niveau bestehen können.
 

Gibt es auch ein Aber?

Ja. In einer Olympia-Saison wird das Niveau immer massiv höher sein. Die ersten Leistungen aus den USA oder Australien machen dies deutlich –  Corona-Pandemie hin oder her.
 

Olympia-Medaillen in der Leichtathletik scheinen also illusorisch?

Sie zu erwarten, wäre vermessen. Davon träumen ist aber erlaubt. Vor allem die 4x100-Meter-Staffel der Frauen hat enormes Potenzial.
 

Wie erklärst du, dass sich die Schweizer Leichtathletik auf diesem erstaunlichen und lange für undenkbar gehaltenen Level bewegt?

Das ist das Resultat jahrelanger, wenn nicht jahrzehntelanger Aufbauarbeit. Die Entwicklung lief hin zu einem professionellen Lebensstil bei den Athletinnen und Athleten. Für mich ist das der Punkt, warum wir uns seit der EM 2016 in Amsterdam so erfreulich präsentieren können.
 

In diesem Jahr feiert Swiss Athletics sein 50-Jahr-Jubiläum. Was sind deine ganz persönlichen Highlights dieser Periode?

Drei Namen und drei Geschichten ragen heraus: Die Weltmeister Werner Günthör und André Bucher sowie der Olympia-Zweite Markus Ryffel. Zu zweien hatte ich einen persönlichen Kontakt. Als ‹vielseitigster Berner Giel› durfte ich Mitte der 70er-Jahre an einem Training mit Ryffel und seinem Trainer Heinz Schild teilnehmen. Mit Werner Günthör verbrachte ich in Magglingen viel Zeit, als ich etwa zehn Jahre später dem Zehnkampf-Nationalkader angehörte. Der Kugelstösser und wir Mehrkämpfer absolvierten zusammen die Konditionstests und viele Sprints. Werni war schneller als jeder von uns Zehnkämpfern.

Die Heim-EM 2014 in Zürich hat Energien freigesetzt.
Peter Bohnenblust

So rund wie in den 80er-Jahren und wie jetzt ist es in der Schweizer Leichtathletik aber nicht immer gelaufen.

Richtig. 2004 stand der Verband mit dem Rücken zur Wand. Der Konkurs war nicht mehr fern.
 

Wie glückte die Kehrtwende?

Enorme Anstrengungen verschiedenster Leute zeigten Wirkung. Aber es benötigte auch Zeit, bis es sportlich wieder aufwärts ging. 
 

Gab’s eine Initialzündung?

Das Ganze ist eng verbunden mit der Heim-EM Zürich 2014. Der Zuschlag hat Energien freigesetzt. Zusammen mit dem neuen Partner UBS sahen alle ein Ziel. Und es wurden weitreichende und richtungsweisende Schritte eingeleitet. Zum Beispiel mit dem Projekt ‹Swiss Starters›.
 

Inwiefern profitiert die Schweizer Leichtathletik heute noch von Zürich 2014?

Die Swiss-Starters Idee zieht bis heute. Entscheidend ist, dass wir nach wie vor zahlreiche Spitzenathleten haben. Ebenso verfügen wir über einen Trainierstab, der den Topathleten den ‹Highperformance-Lifestyle› möglich macht. Ganz entscheidend aber: Unsere Besten zeigen, wohin der Weg führen kann.
 

Diese Dynamik sorgt auch für eine wertvolle Entwicklung in die Breite.  

Genau. Der 60-m-Frauensprint von diesem Winter illustriert dies. Nicht weniger als sieben Athletinnen erfüllten die Limite für die Hallen-EM von 7,40 Sekunden. Sie alle liefen eine Zeit, welche noch vor neun Jahren von keiner Schweizerin erreicht worden war. Diese Entwicklung hätte noch vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten. Es hat sich eine Überzeugung etabliert: Wer wie Mujinga Kambunji, Ajla Del Ponte, aber auch wie Lea Sprunger trainiert, kann es sehr weit bringen. 
 

Wie erklärt sich, dass auch die Corona-Krise die Dynamik nicht zu stoppen vermochte?

Entscheidend war, dass wir als Verband von Anfang an Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten boten. Das ermöglichte den Athletinnen und Athleten Perspektiven. Und weil nicht alle die Saison mit derselben Ernsthaftigkeit angingen, konnten sich Junge profilieren. Plötzlich standen sie im Rampenlicht.
 

Zeigten sich weitere Tendenzen?

Ohne dies abschliessend und generell analysiert zu haben: Das längere Basis-Training wegen des verspäteten Saisonstarts, konnte von vielen erstaunlich schnell und gut umgesetzt werden. Und der fehlende Druck des Grossanlasses wirkte für viele befreiend. 

Die Talente im Mehrkampf stammen ausschliesslich aus den Turnvereinen.

Derzeit präsentieren sich Schweizerinnen und Schweizer auf europäischer Stufe in absoluten Toppositionen. Lässt sich dieser Standard halten?

Das anzunehmen, wäre vermessen. Nicht alle Nationen hatten dieselben Voraussetzungen. Eine zusätzliche Erkenntnis aber: 2020 schnitten wir im Vergleich mit 2019 sehr gut ab.
 

Wichtiger Grundpfeiler dieser Top-Elite ist eine solide Basis. Wie gelang es, die Leichtathletik zurück an die Schulen zu bringen?

Die Nachwuchsprojekte, der UBS Kids Cup und der UBS Kids Cup Team, der Mille Gruyière sowie der Swiss Athletics Sprint, erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit. Die Module, die wir den Lehrerinnen und Lehrern, den Trainern offerierten, kamen und kommen an.
 

Und das Talent-Scouting greift?

Unsere Anstrengungen, Talente auf dieser Altersstufe für die Leichtathletik zu gewinnen, zeigen Wirkung. Von der heutigen jungen Generation an Leistungsträgerinnen und -trägern, haben alle über unsere Nachwuchsprojekte zur Leichtathletik gefunden. Dabei spielt eine altersgerechte Ausbildung eine grosse Rolle. Der Mehrkampf-Ansatz steht im Zentrum. Die Spezialisierung soll erst mit 16 einsetzen.
 

Die Pandemie stoppte diese Projekte. Mit welchen Folgen?

Wir riskieren, ein bis zwei Jahrgänge zu verlieren bei unserem Scouting. Das werden wir irgendwann spüren. Aber wir arbeiten intensiv mit unseren Sponsoring-Partnern zusammen, um schnellstmöglich wieder auf die bewährte Erfolgsschiene einzubiegen und wieder mehr als 200'000 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 15 Jahren anzusprechen.
 

Wie geht es Swiss Athletics derzeit finanziell?

Dank dem Stabilisierungspaket 2020 des Bundes schaute ein ansprechendes Jahr heraus, auch für die Kantonalverbände und die Vereine. 2021 dürfte schwieriger werden. Stand jetzt, werden deutlich weniger Lizenzen gelöst. Man wartet ab. So leidet eine der drei Einnahmesäulen. Das hinterlässt Spuren. In eine Notlage werden wir Ende Saison aber nicht kommen.  
 

Welchen Stellenwert hat generell die Kooperation mit anderen Verbänden?

Einen grossen: Laufen, Springen, Werfen ist die Basis für viele andere Sportarten. Wir wollen die Grundlagen legen. Mit dem Schweizerischen Turnverband, Swiss Triathlon, Swiss Orienteering, der Running- und der Berglauf-/Trail-Running-Bewegung kooperieren wir besonders eng. Wie das funktioniert, zeigt sich etwa im Mehrkampf. Da kommen die Talente fast ausschliesslich aus den Turnvereinen. Wir holen sie zum richtigen Zeitpunkt ab und unterstützen sie entsprechend.
 

Swiss Athletics hat ein Future-Projekt 2030 lanciert. Was braucht es, damit die Schweizer Leichtathletik auch in zehn Jahren eine Vorreiterrolle spielt?

Eine weitere Professionalisierung. In den Trainingszentren mit entsprechender Infrastruktur gibt es hochqualifizierte Trainerinnen und Trainer, die vom Sport leben können.

50 Jahre Swiss Athletics

  • 1971 gegründet
  • 500 Vereine
    mit 12'000 Lizenzierten (Stand: 2019)
  • 76 Medaillen
    auf höchster internationaler Ebene gewonnen
    (26 x Gold, 20 x Silber, 30 x Bronze)
  • Seit 2006 Swiss Athletics
    davor hiess es Schweizerischer Leichtathletikverband

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