Fusionen bieten die Chance, Ressourcen zu bündeln und so die Effizienz von Vereinen zu steigern. Gemeinsame Infrastrukturen, ein zentralisierter Vorstand und die Reduktion von organisatorischen Doppelspurigkeiten führen zu einer deutlichen Entlastung. Markus Hochstrasser, Präsident des TV Roggwil, beschreibt, dass die Arbeit im Vorstand nach der Fusion erheblich vereinfacht wurde: «Vor der Fusion mussten wir alle Aufgaben viermal organisieren – das gehört nun der Vergangenheit an.» Auch im TV Seen wird erwartet, dass eine Fusion den administrativen Aufwand reduziert, da viele Prozesse nicht mehr parallel ablaufen müssen.
Ein weiterer Vorteil liegt im Ausbau der Angebote. Durch die Verschmelzung der Strukturen entsteht oft ein vielfältigeres Programm, das eine grössere Zielgruppe anspricht. Dies ist besonders attraktiv für Kinder und Jugendliche, die von qualitativ hochwertigeren Trainings und stabileren Strukturen profitieren. Der TV Roggwil hat diesen Effekt deutlich gespürt: Nachwuchssportlerinnen und -sportler finden in einem grösseren Verein nicht nur ein breiteres Angebot, sondern auch langfristige Perspektiven. Gleichzeitig stärkt ein solcher Zusammenschluss das Gemeinschaftsgefühl – sei es durch gesellige Anlässe oder durch ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinde.
Vor der Fusion mussten wir alle Aufgaben viermal organisieren – das gehört nun der Vergangenheit an.
So vielversprechend die Vorteile auch sein mögen, die Bedenken vieler Mitglieder zeigen, dass Fusionen keine einfache Entscheidung sind. Ein häufig genannter Kritikpunkt ist der Verlust von Identität. Ältere Mitglieder befürchten, dass jahrzehntelange Traditionen und spezifische Werte der Vereine auf der Strecke bleiben könnten. Michael Binder, Präsident des TV Seen, weist darauf hin, dass vor allem ältere Mitglieder Schwierigkeiten haben, sich von bestehenden Strukturen zu lösen: «Die Jungen wollen einfach turnen – für sie ist der Vereinsname nicht entscheidend. Doch die älteren Generationen hängen emotional stark an ihren Vereinen.»
Ein anschauliches Beispiel ist das sogenannte Riegenkässeli, eine eigenständige Kasse für bestimmte Abteilungen, die im TV Roggwil vor der Fusion eine grosse symbolische Bedeutung hatte. Die Abschaffung dieser individuellen Kassen stiess auf Widerstand, konnte jedoch durch transparente Kommunikation überwunden werden. Markus Hochstrasser erinnert sich: «Wir mussten klarstellen, dass eine zentrale Finanzstruktur unverzichtbar ist, um die Fusion erfolgreich umzusetzen.»
Die Jungen wollen einfach turnen – für sie ist der Vereinsname nicht entscheidend. Doch die älteren Generationen hängen emotional stark an ihren Vereinen.
Ein weiteres Hindernis ist die Harmonisierung unterschiedlicher Vereinsphilosophien. Während in einigen Bereichen bereits vor der Fusion eine Zusammenarbeit bestand – etwa bei Turnfesten oder Jugendwettkämpfen – gab es andere Felder, in denen separate Strukturen tief verwurzelt waren. Der TV Roggwil entschied sich daher, in bestimmten Bereichen wie dem polysportiven Training traditionelle Trennungen beizubehalten, um den Bedürfnissen der Mitglieder gerecht zu werden.
Markus Hochstrasser (48)
Präsident TV Roggwil (BE) seit 2022 (vorher schon mal von 2004 bis 2010)
War Leiter der Arbeitsgruppe Fusion und übernahm dann nach der Fusion zum zweiten Mal das Präsidium des fusionierten Vereins.
Fusion:
STV Roggwil, DTV Roggwil, Frauenturnverein und Männerriege (selbstständige Riege des STV) zu TV Roggwil
Die Bedeutung einer offenen und transparenten Kommunikation zieht sich wie ein roter Faden durch beide Erfahrungsberichte. Die Fusion des TV Seen und des Damenturnvereins Seen wird von Anfang an von intensiven Gesprächen und Workshops begleitet, bei denen die Mitglieder aktiv einbezogen werden. Michael Binder betont: «Wir haben aus früheren Fehlern gelernt. Transparenz und Kommunikation sind entscheidend, um die Mitglieder mitzunehmen.» Aus diesem Grund hat der Verein auch eine Arbeitsgruppe zur Prüfung einer allfälligen Vereinsfusion eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern aller Riegen beider Vereine und hat im September und Dezember 2024 ihre ersten Sitzungen abgehalten. Unterstützt wird sie dabei von Stefanie Bütler, Leiterin des Bereichs Vereinsmanagement & Richterausbildung beim Schweizerischen Turnverband (STV). Die externe Hilfe sei sehr wertvoll, so Binder.
Transparenz und Kommunikation sind entscheidend, um die Mitglieder mitzunehmen.
Auch im TV Roggwil spielte die Einbindung der Mitglieder eine zentrale Rolle. Workshops, in denen Fragen und Ängste offen thematisiert wurden, halfen, Widerstände abzubauen und den Weg für den Zusammenschluss zu ebnen. Die Arbeit in interdisziplinären Teams aus Vertretern aller betroffenen Vereine trug dazu bei, dass die Entscheidungen auf einer breiten Basis getroffen wurden.
Michael Binder (29)
Präsident TV Seen seit 2019
Mitglied der Arbeitsgruppe Fusion, die eine allfällige Fusion für das Jahr 2026 plant
Geplante Fusion:
Turnverein mit Turn-, Fitness-, Männer- und Veteranenriege und Damenturnverein mit Damenriege, Frauenriege 1&2 und Seniorinnen
Die praktische Umsetzung einer Fusion erfordert Zeit und Geduld. Im Fall des TV Roggwil dauerte der Prozess mehrere Jahre und wurde durch die Corona-Pandemie zusätzlich erschwert. Doch das Engagement zahlte sich aus: «Der erste Moment, in dem wir uns wirklich als ein Verein gefühlt haben, war die gemeinsame Turnunterhaltung», so Hochstrasser. Dieser Anlass symbolisierte den erfolgreichen Zusammenschluss und zeigte, dass die Fusion nicht nur eine organisatorische Veränderung war, sondern ein neues Kapitel im Vereinsleben.
Der erste Moment, in dem wir uns wirklich als ein Verein gefühlt haben, war die gemeinsame Turnunterhaltung.
Auch im TV Seen steht noch viel Arbeit bevor. Eine Umfrage unter den Mitgliedern soll zu Beginn des Jahres 2025 weitere Einblicke in die Bedürfnisse und Bedenken geben. Die Fusion soll im Jahr 2026 beschlossen werden. Binder sieht den Prozess jedoch optimistisch: «Wenn wir es schaffen, alle Mitglieder ins Boot zu holen, können wir gemeinsam eine zukunftsfähige Lösung schaffen.»
Vereinsfusionen sind keine einfache Aufgabe – sie erfordern Fingerspitzengefühl, Kommunikationsstärke und die Bereitschaft, alte Strukturen zu hinterfragen. Doch die Erfahrungen des TV Seen und des TV Roggwil zeigen, dass Fusionen eine vielversprechende Möglichkeit sind, um Herausforderungen zu meistern und Vereine nachhaltig zu stärken.
Am Ende geht es darum, Traditionen und Innovationen in Einklang zu bringen. Wenn es gelingt, die Mitglieder zu überzeugen und ihnen eine Perspektive zu bieten, wird die Fusion nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine kulturelle Bereicherung für das Vereinsleben sein.
Er spricht über die Herausforderungen und Chancen für Sportvereine fünf Jahre nach der Pandemie. Warum sie stabil geblieben sind, wie Professionalisierung gelingen kann und welche Rolle Ehrenamtlichkeit dabei spielt.