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«Der Körper ist nicht für langes Sitzen gemacht»

  • 12. Februar 2020

Sicher hatte schon jeder Turnende einmal mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Oft ist mangelnde Bewegung oder Fehlbelastung die Ursache. Diese Thematik ist nicht neu, aber nach wie vor aktuell. Im «GYMlive» beleuchtet Florian Schmid, Sportphysiotherapeut und Experte des STV-Ressort «Fit & Gesund», die Ursachen und präventiven Möglichkeiten.

GYMlive/Alexandra Herzog: Rückenschmerzen sind nicht gleich Rückenschmerzen. Welche Formen gibt es?
Florian Schmid (47, Abteilungsleiter Hirslanden Training und Physiotherapie / Sportphysiotherapeut): Rückenschmerz ist so individuell wie der Fingerabdruck eines Menschen. Die Wahrnehmung und das Schmerzempfinden eines jeden Einzelnen sind ganz unterschiedlich. Während die Beschwerden bei den einen wie Kopfweh nur gelegentlich auftreten und rasch wieder abklingen, leiden andere wochen-, monate- oder sogar jahrelang. Natürlich kommt es auf die Ursache an. Oft treten Rückenschmerzen dann auf, wenn über längere Zeit oder in grosser Häufigkeit eine körperliche Fehlhaltung oder Fehlbelastung auf den Rücken wirkt. Das lange Sitzen vor dem Computer, die gesenkte Kopfhaltung bei der Benutzung des Mobiltelefons wie auch beim Lesen,  das lange Stehen sowie das Heben schwerer Lasten, gehören zu den zentralsten. Hierbei wird ein stetiger Zug auf eine Muskelgruppe ausgeübt, wodurch sich diese verspannen und verkrampfen können. Rückenschmerz kann aber auch auftreten, wenn eine Gelenkstruktur überlastet oder degenerativ ist. Eine weitere Ursache können Probleme an inneren Organen sein, die in den Rücken ausstrahlen. Um herauszufinden, warum der Rückenschmerz auftritt, ist es wichtig, zu schauen, wie sich der Schmerz entwickelt hat – schleichend oder plötzlich. 

Warum leiden so viele Menschen an Rückenbeschwerden?
 
Dazu gibt es x Studien. Grundsätzlich kann man sagen: ‹Unser Körper ist nicht fürs Sitzen gemacht›. Viele Berufe haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Durch die Digitalisierung, Industrialisierung und neue Technologie muss man sich heutzutage nur noch wenig bewegen. Vieles läuft per Knopfdruck. Der menschliche Körper konnte sich nicht so schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen. Sprich, er ist nach wie vor zum Agil-Sein gebaut. 

Wie entstehen die Schmerzen?
Wenn wir den ganzen Tag sitzen, nimmt die Durchblutung in den Bereichen, die nicht dafür benötigt werden, ab. Zur Veranschaulichung überstreckt man einen Finger und hält dies einige Sekunden. Man kann beobachten, wie die Blutzirkulation abnimmt. Würde man das fünf bis zehn Minuten machen, hätte man Schmerzen, sobald man den Finger wieder beugen will. Das Gleiche passiert im Rücken. Es gibt Leute, die stundenlang nur sitzen. Die Durchblutung nimmt ab, mit der Zeit verkürzen sich die Sehnen und Muskeln. Nehmen wir als Beispiel den Hüftbeuger. Durch ständiges Sitzen verkürzt sich dieser Muskel mit der Zeit und zieht das Becken nach vorne. Die Folge davon ist ein Hohlkreuz. Dadurch nimmt die Muskulatur ums Kreuz herum zu. Die Bauchmuskeln wiederum werden schwächer, da sie überdehnt sind. Mit der Zeit entstehen immer mehr solche Ungleichgewichte. Die kleinen Wirbelgelenke sind immer grösserer Belastung ausgesetzt.

Wann soll man mit Rückenschmerzen zum Arzt?
Zuerst sollte man selbst aktiv werden und mit Wärmepflastern, spezifischen Mobilisationsübungen und genügend Flüssigkeitszufuhr versuchen, die Schmerzen zu lindern. Werden diese nicht besser oder gar schlimmer, dann rate ich für die Ursachenklärung den Arzt aufzusuchen. Sofort zum Arzt muss man, wenn die Schmerzen in die Gliedmassen ausstrahlen und man Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Kraftverlust feststellt.

Welche präventiven Massnahmen empfiehlst Du?
Wichtig ist, dass man seinen Arbeitsplatz rückengerecht einrichtet: Abstand zum Bildschirm, Blickwinkel auf den Bildschirm, Lichteinfall, Tisch- und Stuhlhöhe. Ausserdem sollte man sich einen ‹Timer› stellen, damit man jede halbe Stunde aufsteht, um den Rücken durchzubewegen und die Durchblutung anzuregen. Wichtig ist es, genügend zu trinken. Auch wenn man sich kaum bewegt, brauchen der Körper und das Gehirn Wasser. Regelmässiger Sport und dabei immer auch Wert auf Rumpfübungen legen. Dabei nicht nur die grossen Muskeln, sondern die kleinen, tiefliegenden Muskeln trainieren. Wenn der Rumpf stabil ist, werden die Wirbelgelenke geschützt. Mit dem Rücken ist es so ähnlich wie mit den Zähnen. Will man nicht, dass man Löcher bekommt, sollte man jeden Tag Zähne putzen. Wer prädestiniert ist, Rückenschmerzen zu bekommen, sollte mindestens jeden zweiten Tag einige Übungen zur Wirbelsäulenstabilisierung machen.

Wie kann im Turnverein präventiv gegen Rückenschmerzen vorgegangen werden?
Durch gutes, sportartenspezifisches Einlaufen. Dazu gehören als absolutes Muss, egal für welche Sportart, drei bis vier Rumpfübungen. Damit kann Verletzungen im Rumpfbereich, aber auch in den peripheren Gelenken vorgebeugt werden. Nach einem guten Einlaufen ja nicht in ein zu langes, passives Dehnen reingehen. Sonst wird der Muskel wieder in einen Ruhezustand versetzt. Ich empfehle kurzes, aktives Dehnen, bei der die Faszien, also die ganze Bewegungskette der verschiedenen Muskeln, gestreckt wird.

STV- Kurse/Workshops für den Rücken

STV Rückengymnastik Instruktor – Weiterbildung mit Flow Tonic Pad & Pilates Rolle – 06.09.2020 in Aarau

Follow Forms – 27.09.2020 in Brig 

Starke Körpermitte - Die verborgene Kraft im Mann – 03.10.2020 in Wädenswil

Pilates Basic – Pilates Ganzkörpertraining – 10.10.2020 in Chur


STV-Kursplan

Diesen Beitrag findet ihr auch im GYMlive 1/2020.

Text: Alexandra Herzog

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