Die Turnschweiz bereitet sich auf den Saisonhöhepunkt vor. Nach zwei Jahren Unterbruch sollen diesen Sommer wieder Turnfeste stattfinden. Über das ganze Land verteilt sind von Anfang Juni bis Anfang Juli elf Feste geplant. Ein elementarer Bestandteil kehrt so in den Turnalltag zurück. Damit an den Turnfesten Wettkämpfe durchgeführt werden können, benötigt es unter anderem Kampf- und Wertungsrichter. Denn: «Ohne Richter keine Wettkämpfe», sagt Philipp Moor. Das heutige Zentralvorstand-Mitglied blickt auf eine jahrelange Wertungsrichter-Erfahrung zurück. Moor war unter anderem Ausbildungsverantwortlicher Richter im Vereinsgeräteturnen.
Tausende Richterinnen und Richter ermöglichen jedes Jahr, dass Turnwettkämpfe realisiert werden.
Tausende Richterinnen und Richter ermöglichen jedes Jahr, dass Turnwettkämpfe realisiert werden können. Von diesem Engagement zehren aber nicht nur die Wettkämpfe, sondern auch die Vereine, deren Mitglieder sich als Richter zur Verfügung stellen. «Ein Wertungsoder Kampfrichter kennt die Bewertungskriterien seiner Sportart bestens. Von diesem Wissen profitiert auch der eigene Verein», sagt Moor. Dank ihres Wissens bringen Richterinnen und Richter eine weitere Sichtweise in den Verein ein. «Das stärkt wiederum den eigenen Verein», meint er weiter.
Bis eine Turnerin oder ein Turner erstmals als Richter im Einsatz steht, benötigt es meist zuerst einen mehrtägigen Grundkurs. «Man darf nicht vergessen, wie viel Aufwand Vereine betreiben, damit sie an einem Turnfest oder an einer Schweizer Meisterschaft starten können. Da sind gut ausgebildete Wertungs- und Kampfrichterinnen auch ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Vereinen», sagt Philipp Moor. Damit das Gleichgewicht zwischen Richter und Vereinen stimmt, müssen die Leistungen beider auf Augenhöhe sein. «Schlecht ausgebildete Richter wären ein schlechtes Zeichen gegenüber den Vereinen», so Moor weiter. Damit die Vorführungen und Leistungen objektiv bewertet werden, sei eine hohe und qualitative Richterausbildung wichtig, sagt er.
Viele Richter bringen bereits eine gewisse Leidenschaft für ihre Sportart mit. «Man muss bereit sein, etwas mehr zu investieren», sagt Moor und ergänzt: «Diesen Aufwand anzunehmen, muss man sich bewusst sein.» Aus eigener Erfahrung sieht das heutige entralvorstandsmitglied aber auch viele positive Aspekte in der Richtertätigkeit. «Persönlich war es stets eine Bereicherung, an den Anlässen die Vorführungen an vorderster Front erleben zu können», sagt er und ergänzt: «Als Richter bist du mitten auf dem Wettkampfplatz, mitten im Geschehen dabei.» Hinzu kommen Einsätze an Schweizer Meisterschaften oder an anderen nationalen Anlässen. «Dort zu richten ist auch ein Privileg und Zeichen der Wertschätzung», sagt Moor.
Wer als Richter amtet, baut sich ein grosses Netzwerk auf: «Man trifft andere Richter und tauscht sich aus.» Dieser Wissensaustausch findet dann den Weg in den eigenen Verein. Dieser Aspekt sei zu Beginn seiner Richter-Karriere auch ein Anreiz für ihn gewesen, sagt Philipp Moor. «Der Kontakt mit anderen Richtenden ergibt neue Sichtweisen.» Eine Erkenntnis, die Moor auch in den Ausbildungskursen festgestellt hat. «Es gab immer mehr junge Richter. Viele Leiterinnen oder Leiter stärken so zusätzlich ihr Knowhow und die Kompetenz in ihrer Sportart», sagt er.
Die Rollentrennung zwischen Richter und Aktivturnenden sei in den letzten Jahren mehr und mehr verschmolzen. «Der Nutzen von Richtern in den eigenen Vereinsreihen wurde erkannt», sagt Philipp Moor. Und dennoch ist er der Meinung, dass dieser Mehrwert den Vereinen noch besser vermittelt werden muss.
Dass die Richtersituation zurzeit aber nicht in allen Disziplinen rosig ist, zeigen die Beispiele im Aerobic und in der Gymnastik. «In diesen beiden Sportarten haben wir eine schwierige Situation», bestätigt Jérôme Hübscher, Leiter Sportförderung beim Schweizerischen Turnverband. Der Mangel an Richterinnen und Richtern hängt einerseits mit der Corona-Situation zusammen. Ein weiterer Grund sei auch die Zunahme von Wettkämpfen, die wiederum zusätzliche Richterinnen erfordert. «Unsere Aufgabe wird es sein, den Vereinen und Turnenden aufzuzeigen, warum es sich lohnt, als Richtperson zum Turnsport beizutragen», sagt Hübscher: «Mit der Finanzierung der Ausbildung leisten wir als Verband bereits einen wichtigen Teil.»
Wie prekär die Richtersituation in den beiden genannten Sportarten ist, zeigt die Tatsache, dass bei vielen Anlässen zu wenige Wertungsrichterinnen zur Verfügung stehen. So können nicht alle Einsätze abgedeckt werden. Dies stellt unter anderem auch Judith Roost als Koordinatorin Wertungsrichter Gymnastik vor eine grosse Herausforderung. «Viele Wertungsrichter sind zwar bereit, einen Extra-Effort zu leisten. Dennoch gibt es in der Jahresplanung noch Lücken», betont Roost.
Dies hat zur Folge, dass auch mit Kompromissen gerechnet werden muss. Eine Reduktion der Wertungsgerichte am Anlass ist eine von verschiedenen möglichen Szenarien. «Wir sind jetzt bereits am Limit. Die Situation ist prekär», betont Judith Roost. Für die grossen Anlässe, wie Schweizer Meisterschaften oder Turnfeste könne der Richterbedarf zwar sichergestellt werden. Andere Wettkämpfe oder Anlässe müssen jedoch allenfalls mit Abstrichen vorliebnehmen, meint auch Jérôme Hübscher.
Einen der Hauptgründe für die Richterknappheit sieht Roost auch in der Nicht-Durchführung von Ausbildungskursen während den letzten beiden Jahren. «Eine Neurekrutierung war wegen Corona kaum möglich», sagt sie. Hinzu kommen Terminkollisionen in gewissen Regionen. Finden Wettkämpfe am selben Tag statt, stellt dies die Einteilung vor eine Herausforderung. Gerade in Sportarten, in denen die Richterzahlen bereits verhältnismässig tiefer sind.
Viele Wertungsrichter sind für einen Extra-Effort bereit. Dennoch gibt es Lücken.
Trotz der derzeitigen Situation ist Jérôme Hübscher überzeugt, dass der Turnaround geschafft wird: «Die Corona-Jahre können wir zwar nicht ausradieren. Ich bin aber überzeugt, dass sich mit der Rückkehr zur Turnnormalität auch die Richtersituation entspannt.» Mit den Wettkämpfen werde man sich auch wieder die Fragen stellen, wie der eigene Verein besser werden kann, wie Leitende rekrutiert werden können und wie der eigene Verein zu Richtern kommt, glaubt Hübscher. Roost erhofft sich zudem, dass sich die kantonalen Verbände bei der Planung der Wettkämpfe zukünftig besser absprechen. So könnten Terminkollisionen vermieden werden. «Die Absprache und Koordination ist in der jetzigen Situation sehr wichtig», so Roost. Zudem sollen auch die Richterkurse in den Regionen verstärkt werden. Das Schreckensszenario, dass Wettkämpfe ohne Wertungsrichter stattfinden könnten, soll so umgangen werden. Denn keine Richter würde auch zur Folge haben, dass es keine Sieger geben würde. Der grösste Verlierer in dieser Geschichte wäre dann wohl der gesamte Turnsport.
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Rund 5600 brevetierte Wertungsrichterinnen, Kampf- und Schiedsrichter sind beim STV registriert. Sie sind elementar, damit überhaupt Wettkämpfe stattfinden können. Stellvertretend dafür erzählen vier Personen, warum sie diese wertvolle Tätigkeit ausüben und wo die Herausforderungen liegen.