Heute zählt der Schweizerische Turnverband (STV) rund 155’000 weibliche Mitglieder (Stand: August 2021, Kinder unter 6 Jahren nicht mitgerechnet). Von den Total 2’777 Aktivvereinen bestehen heute 917 nur aus Turnerinnen, 1’096 aus Turnern und 764 sind gemeinsam unterwegs. Auf Stufe Verein zeigt sich dann auch ein ausgeglichenes Verhältnis von weiblichen und männlichen Präsidien: 1’508 Präsidentinnen gegenüber 1473 Präsidenten (50,5 zu 49,5 Prozent). So weit, so erfreulich.
Eine Stufe weiter oben in der Pyramide, in den Kantonal- bzw. Regionalverbänden, verhält es sich jedoch ganz anders. Nur fünf der dreissig Verbände haben eine Frau an der Spitze (16,6 Prozent).
Der STV hatte seit dem Zusammenschluss erst eine Zentralpräsidentin
Blickt man in der Geschichte zurück, zeigt sich, dass schon immer mehrheitlich Männer die Geschicke im Schweizer Turnsport geführt haben. So wurde der Schweizerische Frauenturnverband (SFTV) die ersten vier Jahrzehnte nach der Gründung (1908–1946) von Männern präsidiert.
Sowieso kam die Entwicklung des Frauenturnens in der Schweiz, wie auch die Einführung des Frauenstimmrechts, im Vergleich zum Ausland verspätet. Zur Selbstverständlichkeit wurde das Frauenturnen erst Ende der 1960er-Jahre. Als 1971 endlich das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, existierte der Schweizerische Frauenturnverband (bis 1928: Schweizerische Damenturngesellschaft) zwar bereits 63 Jahre und zählte stattliche 86’186 aktive Mitglieder. Dennoch hatten die Frauen bis zu diesem Zeitpunkt immer wieder gegen grosse Widerstände zu kämpfen. Forderungen der Turnerinnen nach leistungsorientiertem Turnen blieben lange erfolglos, herrschte doch bei den Herren die Ansicht vor, dass Rhythmus und Lebensgefühl das Frauenturnen charakterisieren sollten.
Erst 1946 war es Marie Willmann vergönnt, als erste Frau die Spitze zu übernehmen und den gewünschten Wandel einzuleiten. Auf Willmann, die sich zehn Jahre als Präsidentin nicht nur halten, sondern auch wichtige Veränderungen durchsetzen konnte, folgten fünf weitere SFTV-Präsidentinnen, welche die Entwicklung des Frauenturnens in der Schweiz mit beharrlicher Arbeit vorantrieben.
Im Jubiläumsjahr zum 50-jährigen Bestehen des SFTV erfreute sich der Verband über einen Zuwachs von 49 Sektionen. «Hoffen wir, dass diese erfreuliche Entwicklung auch die nächsten Jahre weiter anhält, dann werden wir in einem halben Dutzend Jahre bezüglich Sektionenzahl unseren Bruderverband eingeholt haben», so hoffte man in der damaligen Zusammenfassung der Mitgliederbilanz. Tatsächlich konnte der SFTV weiter kontinuierlich an Mitgliedern dazugewinnen.
Rita Elsener-Canepa, die amtierende SFTV-Präsidentin beim Zusammenschluss von Eidgenössischem Turnverein (ETV) und Schweizerischem Frauenturnverband (SFTV) 1985, wurde die Ehre zuteil, auch das Zepter des frisch gegründeten Schweizerischen Turnverbandes (STV) zu übernehmen. Bis Ende 1991 amtete sie als Zentralpräsidentin. Elsener-Canepa blieb bis heute die erste und einzige Frau, die dem STV vorstand.
Im heutigen siebenköpfigen STV-Zentralvorstand ist mit Eliane Giovanola nur noch eine Frau vertreten (14,28 Prozent). «Auch wenn ich nichts von Quoten halte, finde ich das problematisch. Denn der Zentralvorstand repräsentiert den Turnsport der ganzen Schweiz», sagt Evi Hurschler (Präsidentin Turnverband Luzern, Ob- und Nidwalden).
«Viel wichtiger als das Geschlecht der Person ist eine gute Mischung an Interessen, Hintergründen und Erfahrungen in den Führungsgremien zu haben», ist die Präsidentin des Schaffhauser Turnverbandes Andrea Fuchs überzeugt. «Lieber nur eine einzige Frau, dafür kompetent und engagiert als Frauen, die nur als Alibi dienen», meint Lysiane Tissières (Präsidentin Gym Valais-Wallis).
Bei den Vorstandsgremien in den Kantonal- und Regionalturnverbänden fällt auf, dass dort die Frauen die Mehrheit bilden. 307 Frauen gegenüber 196 Männern engagieren sich in der Führung. «Unser Ausschuss besteht aus sechs Frauen und einem Mann», so Tissières. Auch im Vorstand des Schaffhauser Turnverbandes (SHTV) sind mehr Frauen als Männer vertreten (3:1). Ähnlich verhält es sich in den Vereinen: 12’237 Frauen zu 8’568 Männern.
Diese Zahlen beweisen, dass in der Turnschweiz genügend engagierte Frauen zu finden sind, die durchaus auch fähig wären, einem kantonalen oder nationalen Verband vorzustehen. Nun müssen diese es sich nur auch zutrauen und dann von ihren Verbandskolleginnen und -kollegen an die Spitze getragen werden.
In den Vereinen ist das Verhältnis viel ausgeglichener
Vier der aktuellen Kantonal- und Regionalpräsidentinnen äussern sich über ihre Motivation, so ein Amt auszuüben und zum Thema Frauen in Führungsfunktionen.