«Per 13. April 2022 wurde das nationale Wettkampfprogramm im Kunstturnen Frauen angepasst. Neu ist das Tragen von kurzen Hosen erlaubt.»
Die reglementarischen Grundlagen stehen. Wir haben darüber mit einer jungen Frau und zwei Kampfrichterinnen geredet.
Mit der Thematik des Turnkleids war ich schon relativ früh konfrontiert. Ich fing mit neun Jahren mit dem Geräteturnen an und fühlte ich mich mit der Zeit immer unwohler im Turnkleid. Ich achtete je länger je mehr auf das, was ich gerade von meinem Körper preisgab, als mich auf meine Übung zu konzentrieren. Ich fragte mich schnell einmal, weshalb Jungs Turnhosen tragen dürfen und wir Mädchen nicht. In meinem Verein war im Geräte- sowie im Kunstturnen das Tragen von Turnhosen lange nicht erlaubt. Weil ich mehr über dieses Thema wissen wollte, entschied ich mich, darüber eine Maturaarbeit («Sexismus im Turnen») zu schreiben. Danach war das Tragen von Turnhosen in meinem Verein auch für Mädchen möglich.
Ich war und bin der Meinung, dass die sportliche Leistung wichtiger ist als das ästhetische Erscheinungsbild und dass eine Sportbekleidung schon gar nicht kontraproduktiv für die sportliche Leistung sein soll.
In meiner Maturaarbeit über «Sexismus im Turnsport» in Bezug zur Bekleidung im Turnen befragte ich insgesamt 350 Personen, darunter Turnende, Eltern von Turnenden, Coaches, Wertungsrichterinnen und -richter, sowie Vereinsfunktionärinnen und -funktionäre.
Ich war und bin der Meinung, dass die sportliche Leistung wichtiger ist als das ästhetische Erscheinungsbild.
Die Ergebnisse zeigen, dass viele Turnerinnen zwar eine Steigerung der Motivation, der sportlichen Leistung und des Selbstbewusstseins erleben, sich aber mehrheitlich im Turnkleid unwohl oder unsicher fühlen. Dieses Gefühl der Unsicherheit und des Unwohlseins nimmt zu, wenn die Turnerinnen in die Pubertät kommen. Im Gegensatz zu den Turnerinnen fühlt sich die Mehrheit der Turner wohler und sicherer. Sie tragen kurze oder lange Hosen zum Wettkampfdress.
Die Meinungen im Zusammenhang mit Sexismus und Bekleidung sind geteilt. Das Tragen des Wettkampfdresses der Frauen (ohne Hosen) wird bis heute mit Tradition und Ästhetik, aber aus meiner Sicht nur mit wenigen Argumenten, die den Sport betreffen begründet. Viele Turnerinnen wünschen sich die Möglichkeit Turnhosen zu tragen und auch selbst über die eigene Bekleidung zu entscheiden. Obwohl diverse Veränderungen erfreulicherweise sichtbar sind, sei es in einzelnen Vereinen wie auch auf internationaler Ebene, bleibt das Thema im Turnsport aktuell.
Die Turnerinnen der deutschen Nationalmannschaft traten 2021 den Europameisterschaften in Basel und bei den Olympischen Spielen in Tokio erstmals im Ganzkörperanzug an. Ein starkes und mutiges Zeichen gegen Sexualisierung im Sport und für die Selbstbestimmung von Frauen. Wir haben deshalb bei Eva Reinschmidt, Projektmitarbeiterin Prävention und Intervention von Gewalt im Sport bezüglich der Positionierung des DTB in diesem Zusammenhang nachgefragt.
Turnsport ist geprägt von Kraft, Ausdruck und Ästhetik. Das spiegeln nicht nur die Elemente und Posen wieder, sondern auch die Bekleidung. Enganliegend und gerade bei den Turnerinnen immer beinfrei. Zum Turnsport gehören aber auch Elemente, in denen die Athletinnen ihre Beine spreizen oder grätschen, was gerade in den kurz geschnittenen Turnanzügen bei Mädchen und Frauen zu einem Gefühl des Unwohlseins führen kann, darin waren sich die Beteiligten aus der Sportpraxis einig.
Der Sport und auch das Turnen in seiner Vielfalt sollen Orte sein, an denen sich die Athletinnen zu jederzeit in ihrer Bekleidung wohlfühlen sollen. Dies ist dem DTB, wie auch das physische und psychische Wohlbefinden von Athletinnen und Athleten im Turnsport grundsätzlich, ein sehr wichtiges Anliegen.
«Als Teil der deutschen Turn-Nationalmannschaft sind wir für viele jüngere Sportlerinnen auch ein Vorbild und möchten ihnen damit eine Möglichkeit aufzeigen, wie sie sich auch in einer anderen Bekleidungsform ästhetisch präsentieren können, ohne sich bei bestimmten Elementen unwohl zu fühlen», sagte Sarah Voss seinerzeit, die ein Jahr später den Fairplay des Sports für ihren couragierten Auftritt erhielt.
Massgeblich unterstützt wurde das Vorhaben von der damaligen Cheftrainerin Ulla Koch: «Mir ist es wichtig, dass die Athletinnen selbstbewusst entscheiden können, in welchem Outfit sie sich wohlfühlen und ihre Übungen präsentieren. Ich hoffe, dass unsere Athletinnen mit diesem Zeichen die jungen Turnerinnen nicht nur im Leistungs-, sondern auch im Breitensport erreichen und ihnen damit diese Möglichkeit der Bekleidung näherbringen. Niemand sollte gezwungen werden, sich in einer Sportart aufgrund der Bekleidung unwohl zu fühlen», sagte Koch 2021.
Neben dem Deutschen Turnerbund engagiert sich auch British Gymnastics verstärkt für eine inklusive Bekleidung. Die neue Produktreihe ist die Fortsetzung des Programms «Leap Without Limits» (Sprung ohne Grenzen), welches die Vision hat, ein positives Turnerlebnis für alle zu schaffen.
In vielen Turnsportarten gibt es Bekleidungsvorschriften. Gründe dafür sind: Sicherheit, Ästhetik, qualitative Bewertung etc. Die nachfolgende Auflistung dient der Übersicht und ist nicht abschliessend.